Ohne Erkenntnisgewinn: Befragung zur Pflegekammer Niedersachsen bringt gar nichts

Aktuell Niedersachsen

Diese Farce hat mit einer echten Evaluation nichts zu tun.

Die gestern zu Ende gegangene Befragung der Pflegefachpersonen in Niedersachsen zur Zukunft der Pflegekammer ist so ausgegangen wie erwartet: ohne verwertbares Ergebnis. In Anbetracht der geringen Rücklaufquote bleibt völlig unklar, wie die Mehrheit der beruflich Pflegenden denkt und was sie wirklich will.

„Dieses Nicht-Ergebnis ist unbestreitbar das „Verdienst“ der politisch Verantwortlichen in Niedersachsen“, davon ist Martin Dichter, Vorsitzender des DBfK Nordwest e.V., überzeugt. „Dort sitzen die Totengräber des jungen Pflänzchens Pflegekammer. Eine neue Institution, die politisch nicht wirklich gewollt ist und weder finanziell noch ideell klar unterstützt wird, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt.“ Entsprechend ist das Ergebnis der Befragung: 15 100 oder 19,49 % der Pflegefachpersonen in Niedersachsen haben sich an der Abstimmung beteiligt.
70,6 % von ihnen sind gegen den Fortbestand der Kammer. Von den rund 78 000 Abstimmungsberechtigten haben sich insgesamt also 13,67 % aktiv gegen die Pflegekammer ausgesprochen. Dass es nicht gelungen ist, die schweigende Mehrheit zu aktivieren, liegt nach Überzeugung des DBfK an dem stümperhaften Erstversuch der Befragung mit suggestiver Fragestellung und dem Abbruch des Zweitversuchs. Diejenigen Pflegenden, die sich differenziert damit auseinander gesetzt haben, sahen in der jetzt tatsächlich zu Ende gebrachten Befragung keinen Sinn mehr, zumal die niedersächsiche Sozialministerin Reimann das Ergebnis schon vorweg genommen hatte. Hinzu kommt der völlig verfrühte Zeitpunkt. „Wie sollen Pflegende die Wirkung ihrer Berufsvertretung beurteilen, wenn diese noch gar keine Chance hatte, sie zu entfalten?“ fragt Martin Dichter. „Auch die Tatsache, dass diese Befragung nicht von einer wirkungsvollen Öffentlichkeitskampagne begleitet wurde, spricht Bände. Dieses Defizit konnten Aufrufe zur Beteiligung an der Abstimmung, unter anderem auch der von Seiten des DBfK, nicht kompensieren.“

Wie es jetzt faktisch weitergeht in Niedersachsen, ist derzeit nicht klar. Dazu bedarf es nach Meinung des DBfK auch eines dezidierten Abschlussberichts mit der Klärung offener Fragen: Wie viele beruflich Pflegende haben tatsächlich den Zugangscode und damit die Möglichkeit der Teilnahme bekommen? Wie viele haben sich „last minute“ quasi eingeklagt? Wer hat in welchen Regionen wie abgestimmt? Ein Fazit lässt sich aber jetzt schon ziehen: „Das ist nicht das Ergebnis einer Vollbefragung, sondern das Votum einer Minderheit der Pflegefachpersonen in Niedersachsen. Falls Frau Reimann daraus die Legitimation ableitet, die Kammer aufzulösen, halten wir das für einen Skandal“, sagt Martin Dichter. „Das eigentliche Versagen der Politik liegt darin, dass die Pflegekammer von Anfang an weder im Heilberufegesetz Niedersachsen verankert war, noch eine klare Kompetenzzuschreibung geschweige denn eine Anschubfinanzierung bekommen hat. Damit war der Grundstein gelegt für das jahrelange Hickhack, das „erfolgreich“ von den eigentlichen Problemen in der beruflichen Pflege abgelenkt hat: Mangel an Pflegefachpersonen, prekäre Arbeitsbedingungen, erbärmliche Bezahlung. Hier fordern wir beruflich Pflegenden endlich Lösungen im großen Stil von der Politik anstelle von Ablenkungsmannövern zu unserem Schaden.“

Zum Hintergrund: Die Existenz der Pflegekammer Niedersachsen geht auf einen Beschluss des niedersächsischen Landtags zurück. Im Vorfeld hatte das Niedersächsische Sozialministerium, damals noch CDU-geführt, Ende 2012/Anfang 2013 eine repräsentative Umfrage durch infratest dimap unter beruflich Pflegenden in Niedersachsen durchführen lassen. Hier hat sich eine Mehrheit von 67% für die Einrichtung einer Pflegekammer ausgesprochen. Repräsentative Umfragen sind ein Standardinstrument, um Informationen, zum Beispiel über die politische Stimmungslage, die Lebenssituation oder – ganz aktuell – den Anteil an Menschen mit Antikörpern gegen den SARS-CoV-2 Virus zu ermitteln. Somit sind repräsentative Befragungen oder Datenerhebungen ein gängiges Verfahren, um Informationen über eine zu definierende Grundgesamtheit zu erhalten. Ein solches Verfahren erscheint in jedem Fall einer dilettantisch durchgeführten „Vollbefragung“ weit überlegen.

Laut der im November 2017 abgeschlossenen Koalitionsvereinbarung von SPD und CDU sollte die Wirkung der Pflegekammer Niedersachsen zur Hälfte der 18. Wahlperiode des Niedersächsischen Landtages in einer Mitgliederbefragung evaluiert werden – also keine zwei Jahre nach Konstituierung der Kammer. Nach heftigen Protesten von Kammergegnern und parteiischen Reaktionen aus der Politik hierauf („Aus Sicht der Landesregierung ist völlig klar, dass es eine beitragsfinanzierte Kammer in Niedersachsen nicht mehr geben wird“, Sozialministerin Reimann) startete die Befragung mit einer suggestiven Fragestellung zur Zukunft der Kammer, was für allgemeine Empörung sorgte. Eine Datenschutzpanne führte zum Aus der Mitgliederbefragung, der erste Neustart-Versuch scheiterte an einer Klage wegen datenschutzrechtlicher Bedenken. Mit einem geänderten, ergebnisofferen Fragenkatalog gelang schließlich der Re-Re-Start der Befragung in den Sommerferien mit dem bekannten überraschungsfreien Ergebnis.Die dilettantisch durchgeführte Befragung fügt sich in das bisherige Bild der Landesregierung zum Umgang mit der Selbstverwaltung der Pflegefachberufe in Niedersachsen, die niedrige Beteiligung war vorprogrammiert. Die Ergebnisse sind damit politisch nicht verwertbar.

Quelle: Pressemitteilung DBfK Nordwest e. V.

 

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